VASK Zürich
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Angehörige im Dilemma

Zusammenfassung des Referats von Ruth Dual, Präsidentin der VASK Zürich

Für Nichtbetroffene ist es wahrscheinlich kaum nachvollziehbar, welchen Belastungen Angehörige von psychisch Kranken ausgesetzt sind. Oft bleiben diese in ihrer Not, Scham und mit einem Ohnmachtsgefühl in der Isolation.
Die VASK Zürich hat sich zum Ziel gesetzt, sich für diese Angehörigen zu engagieren, sie zu unterstützen, Aufklärungsarbeit zu leisten, ihnen eine Anlaufstelle und Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. In der Öffentlichkeit plädiert die VASK Zürich zudem seit Jahren für einen verstärkten Dialog mit der Psychiatrie und die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten.
Während all dieser Jahre haben wir laufend Angehörige von Schizophrenie- und Psychischkranken professionell begleitet, versucht, sie der Isolation zu entziehen und ihnen Orientierungshilfe zu bieten.
Unser Hauptziel ist die gegenseitige Unterstützung und Information.
Zurzeit bestehen schweizweit 11 regionale/kantonale VASKEN als autonome Vereine mit unterschiedlichen Angeboten. Erfreulich ist, dass die welsche und italienische Schweiz ebenfalls vertreten sind. Ein Dachverband, die VASK Schweiz, welche in Basel ihren Sitz hat, koordiniert und unterstützt die einzelnen Vereine. Im europäischen Zusammenschluss aller Angehörigenverbände, in der EUFAMI, ist die VASK Schweiz ebenfalls als Mitglied vertreten.

Angehörige von psychisch Kranken haben immer mehr oder weniger ambivalente Gefühle und handeln oft auch so. Diese Tatsache könnte bereits Zeichen eines möglichen Konfliktpotenzials in der gegenseitigen Zusammenarbeit mit Ihnen sein.
In diesem Zwiespalt befinden sich Angehörige meist jahrzehntelang, ja ev. ein Leben lang. Mitleid- und Ohnmachtsgefühle, Scham- und Schuldgefühle auf der einen Seite..... Wut, ja Aggression und die Erkenntnis, eigene Bedürfnisse nicht mehr wahrnehmen zu können, auf der anderen Seite.

Oft werden die Angehörigen mit der Belastung nicht fertig und erkranken selbst.
Nun, die quälendste Frage, welche Angehörige immer wieder so sehr beschäftigt und belastet, ist die Gretchenfrage per se:
Wann, was, wie und wie viel darf ich, soll ich oder muss ich unternehmen? Was ist in der Situation richtig, was angemessen, was falsch?
Wo ist die Grenze der Selbstbestimmung des Kranken, schliesslich zu Recht eines der höchsten Menschenrechte überhaupt. Soll ich den Dingen einfach den Lauf lassen? Ist z.B. das Schuldenchaos seine Sache? Sind meine Vorstellungen von Hygiene zu rigide und habe ich es so, wie es ist, einfach zu akzeptieren? Oder aber nimmt meine Tochter/ mein Sohn dadurch eventuell gesundheitlichen Schaden? Verliert der Betroffene mit meiner Intervention bei Behörden, Polizei nicht nur das letzte Quäntchen Vertrauen zu mir als eventuell noch einziger Kontaktperson, sondern verhindere ich auch noch sein Abnabeln, seine Entwicklung zur Eigenständigkeit, seine Selbstheilungskräfte? Welches ist von zwei Übeln das kleinere? Wie lange soll ich, kann ich nach aussen die “heile Familie” markieren? Etc. usw.

Oft vergehen viele Jahre, bis Angehörige nach aussen treten, nach Auswegen suchen und professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Situationen in verschiedenster und dramatischer Art geschehen meist, bevor Sie als Amtsperson ins Spiel kommen und sich im Prinzip, insbesondere bei einem drohenden fürsorgerischen Freiheitsentzug FFE, die gleichen schwierigen Fragen von Schaden oder Nutzen, angemessen oder nicht stellen müssen.

In schwierigen Situationen ist es aber entscheidend wichtig, dass Sie das Umfeld und überhaupt das Wesen des Klienten sehr gut kennen. Als Mandatsträger benötigen Sie auch Hintergrundwissen, damit Sie möglichst die richtigen Entscheide treffen können. Angehörige können Ihnen gerade da eine wertvolle Hilfe sein; hier ist eine Zusammenarbeit notwendig.
Besonders an den Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer psychiatrischer Behandlung geht es um Kommunikation, um Gegenseitigkeit. Angehörige liefern Informationen und brauchen Information. Die adäquate Kommunikation ist auch hier, wie fast überall, entscheidend, ob ein gutes Einvernehmen zustande kommt. Dann dürfen Sie sich nicht allzu schnell, was immer wieder vorkommt, hinter dem Amtsgeheimnis verstecken. Hier sind Spitzfindigkeiten des Datenschutzes am wenigsten angebracht.
Angehörige erwarten eine gewisse Mitsprache bei Entscheidungen, selbst dann, wenn keine Möglichkeit mehr besteht, nein zu sagen.

Das bedingt, dass Sie aktiv zuhören können, die Aussagen ernst nehmen, die Leiden der Angehörigen, der Nachbarn in die Entscheidung mit einbeziehen. Ich denke, dass Angehörige, welche einen FFE dringend beantragen, diese Massnahme erst dann ergreifen, wenn sie wirklich keinen anderen Ausweg mehr sehen.
Wenn es zu einem Polizeieinsatz, respektive zum FFE, dem fürsorgerischen Freiheitsentzug kommt, kann dies für Angehörige fast so dramatisch und traumatisch sein wie für den Betroffenen. Eine solche Massnahme sollte denn auch klar als „Ultima Ratio“ verstanden und künftig immer weniger verfügt werden, seltener geschehen. Wie das denn, fragen Sie sich? Selbstredend haben wir als VASK kein Patentrezept zur Hand, abgesehen davon, dass jede betroffene Person individuell, unverwechselbar ein einzigartiges Krankheitsbild zeigt. Trotzdem sind wir überzeugt davon, dass gewisse Massnahmen und ein anderer Umgang viele solche dramatische Szenen verhindern könnten.
Eine wichtige Massnahme ist bereits im zürcherischen Psychiatriekonzept verankert, jedoch noch nicht umgesetzt. Es ist ein mobiles Care-Team, das in Krisensituationen vor Ort erscheint und sowohl dem Patienten wie den Angehörigen beisteht. In England sind diese Art Einsätze bereits erfolgreich etabliert.
Einige der Kranken wären bestimmt bereit, sich freiwillig in eine stationäre Behandlung zu begeben, wenn Professionelle mehr Überzeugungsarbeit leisten würden, könnten. Das bedingt wiederum viel Zeit. Zeit haben, Ruhe bewahren, Verständnis aufbringen, klare, bestimmte und ehrliche Information geben scheint mir überhaupt ein zentrales therapeutisches Mittel in Krisensituationen zu sein.
In solchen Situationen ist weder das Duzen des Patienten wirkungsvoll, noch sind dumme Bemerkungen oder gar Schuldzuweisungen angebracht.
Ebenfalls ist in den meisten Fällen direkter Augen- und Körperkontakt zu vermeiden.
Auch hier wäre eine Koordination von Angehörigen, Ärzten, Mandatsträgern, Klinik und Patient von Vorteil.

Der Chefarzt der Klinik Malevoz im Wallis geht da mit gutem Beispiel voran und sagte kürzlich in einem Interview zum Thema FFE: “Wichtig ist die Mitgestaltung der Beziehung zu den Angehörigen. Dies wirkt auch beruhigend. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Kooperation mit der Familie am besten gelingt, wenn wir sie in den ersten Stunden einbeziehen und sie zu uns einladen.“ (Zitat)

Wir hören manchmal, aber es ist keineswegs die Regel, von vermeintlichen oder tatsächlichen Fehlentscheiden von Beiständen, von offensichtlichen fachlichen Defiziten oder fehlendem Engagement.
Die Ursache der meisten Differenzen zwischen Angehörigen und Mandatsträgern ist jedoch “nur” die fehlende adäquate Kommunikation, die Verweigerung des Gesprächs, das Desinteresse an den Angehörigen.
Angehörige fühlen sich oft abgewiesen und übergangen. Die Schweigepflicht dient allzu oft als Vorwand bei fehlender Kommunikationsbereitschaft. Oft wird übersehen, dass beim Patienten die Erlaubnis, Auskunft geben zu dürfen, erfragt werden kann.

Was brauchen Angehörige, wo ist Handlungsbedarf, wie soll der gegenseitige Umgang mit Ihnen als Mandatsträger sein?
Zusammenfassend erlaube ich mir, Ihnen einen Katalog in Form einer Folie mit den Wünschen oder Forderungen der Angehörigen an die Mandatsträger zu präsentieren.
 

1 Wir Angehörigen brauchen mehr Verständnis für unsere Anliegen.
2 Wir Angehörigen müssen ernster genommen und besser angehört werden.
3 Angehörige wünschen sich vermehrte und, wenn immer möglich, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, trialogische oder besser quadrologische Gespräche zwischen Patient, Mandatsträger, Arzt und Angehörigen.
4 Angehörige wünschen sich kompetente Mandatsträger mit Sach- und Fachverstand, das heisst mit Kenntnis von psychischen Krankheitsbildern.
5 Angehörige wünschen sich von den Mandatsträgern mehr persönliches Engagement für die Patienten.
6 Angehörige wünschen sich eine engmaschigere Betreuung (Kontrollen) der
Kranken durch die Mandatsträger.